In den letzten Jahren der dritten Ära wurden die ersten interstellaren Schiffe gebaut. Angetrieben von gewaltigen Fusionsbomben, brachen ihre Besatzungen mit ihnen zu den Sternen auf, um nie zurückzukehren.
Sie fanden gewaltige Gasplaneten und Felswelten ohne Atmosphäre, aber nirgendwo trafen sie auf Leben. Dies bestätigte sie in ihrem Glauben, das einzige Leben, die Schöpfung ihrer Götter, zu sein.
Und so eroberten sie die Welten, die sie fanden, für sich, denn sie wussten, dass all dies ihnen gehörte.
So entstanden die zweiten Schwebenden Städte, riesige Plattformen in den Atmosphären der Gasplaneten.
Als die Schiffe schneller wurden, entstanden die ersten Kolonien in den Sternen. Doch für über hundert Jahre gab es keinen wirklichen Fortschritt.
Mit den Portalen kam das Geschenk des interstellaren Handels, und Millionen von ihnen zogen in die Sterne. Ihr Imperium breitete sich über den Himmel aus.
Doch dann traf man auf andere Wesen.
Dann kam der Krieg…
Es war ein kalter und regnerischer Tag, und in den Pfützen schimmerte auslaufendes Schmiermittel. Raphael rannte durch einen verlassenen Industriepark. Schon seit Wochen hatte die Sonne nicht mehr geschienen. In den Nachrichten sagten sie, es sei ein erneuter Angriff des Feindes. Hoffentlich würde er nicht zu spät kommen.
Diesen Bereich war einer von denen, die es am schlimmsten erwischt hatte, als der Krieg begann. Spaltmunition, Waffen und Raumschiffe wurden in großen orbitalen Produktionskomplexen hergestellt, und niemand machte sich die Mühe, die alten planetaren Industrieanlagen abzureisen.
Raphael rieb seinen Rücken. Das wird wieder wochenlang wehtun. Gestern Abend hatte ihn sein Vater wieder geschlagen, nachdem er einen Brief von der Akademie erhalten hatte, in dem der Leiter meinte, es mangele Raphael an der nötigen Aufmerksamkeit und Disziplin, er wäre im Unterricht unaufmerksam und nie bei der Sache. Wie wenig ihn dieser ganze Scheiß interessierte…
Eigentlich wollte er ja gar nicht zum Militär. Aber als Sohn eines hohen Militärfunktionärs war er schon seit vor seiner Geburt an der Akademie vorgemerkt. Er selbst wurde nie gefragt, und sein Vater war nicht bereit, darüber zu diskutieren. »Meine Söhne gehen auf die Akademie und danach zum Militär, und damit Schluss!«, hatte er gesagt.
Raphael rieb seine Schläfe. Immer diese verdammten Kopfschmerzen! Irgendwie tat ihm heute mal wieder alles weh. Wenigstens hatte er hier oben seine Ruhe und musste sich vor niemandem rechtfertigen. Nicht vor seinem Vater, und auch nicht vor den Instruktoren an der Akademie. Hier oben war er frei, zumindest für eine Weile.
Es piepte. Raphael holte sein Datapad aus der Tasche und blickte aufs Display. »Ich bin grad angekommen. Wo bleibst du? Vater rastet aus, wenn du nicht rechtzeitig da bist!« Raphael hatte schon fast damit gerechnet, dass sein Bruder wüsste, wo er hingeht, wenn er nicht zu Hause war. Raphael schrieb schnell eine Antwort. »Können wir uns treffen? Ich bin in einer halben Stunde am Teehaus.« Eigentlich war das Kommunikations-Signal ja ortbar, und das alte Industriegebiet Sperrbereich, aber die Patrouillen kümmerten sich schon lange nicht mehr darum, und Raphael war sich ziemlich sicher, das sein Bruder ihn nicht an ihren Vater verraten würde. Außerdem hatte er als Mitglied der 2. Spähergruppe der Akademie gewisse Sonderrechte, was den Aufenthalt in Sperrgebieten angeht. Raphael blickte sich um. Im Kopf ging er noch einmal das Gespräch durch, das er hoffentlich bald führen würde. Wenigstens war der Link zu den Kommunikationssatelliten stabil. »Geht klar, ich versuch, Vater rauszuhalten.«, hatte sein Bruder geantwortet.
Raphael blickte sich um. Eigentlich hatte er Yatano früher erwartet, aber in letzter Zeit hatte er nicht mehr so viel Zeit wie früher. Eigentlich war dies nicht der richtige Ort für sie, aber Raphael wollte noch nicht mit seinem Vater über seine Beziehung reden, und dazu würde es unweigerlich kommen, wenn er oder Yatanos Mutter etwas mitkriegen würden. Oder einer der Instruktoren der Akademie. Deshalb trafen sie sich hier, oder bei Yatano, wenn seine Mutter wieder einmal Bereitschaftsdienst im Krankenhaus hatte.
Etwas bewegte sich unten auf der Straße. Das wird er hoffentlich endlich sein. Viel Zeit blieb ihnen nicht mehr, bis Raphael sich mit seinem Bruder treffen würde. Diese ganze Geheimniskrämerei ging ihm gehörig auf die Nerven. Aber so waren nun mal die Regeln seiner Familie, und auch darüber würde sein Vater nicht diskutieren. »Wage es niemals, die Werte des Militärs zu beschmutzen! «, hatte sein Vater gesagt. Es war nicht illegal oder falsch, aber der Großteil der Bevölkerung hätte Raphaels Beziehung wohl einfach ignoriert. Und in den Augen seine Vaters hatten Beziehungen, die nicht auf eine Fortführung der Blutlinie hinausliefen, keinen Wert. Raphael spürte, wie Wut in ihm aufkam. Als ob er in seinem Zustand und in dieser Welt jemals Kinder haben wollen würde. Er knirschte mit den Zähnen.
»Hey Kleiner.« Yatano stand hinter ihm und hatte eine Hand auf seine Schulter gelegt. »Alles in Ordnung mit dir?«
»Hmm…«, brummte Raphael. »Mein Vater regt mich auf.«
Yatano strich durch Raphaels Mähne. »Nächstes Wochenende hat meine Mutter wieder Bereitschaft, da können wir zu mir.« Raphaels Miene erhellte sich ein wenig. Das waren zumindest 3 Nächte, die er mit Yatano verbringen können würde. »Vielleicht ’nen Film kucken oder so.«
»Vielleicht … ich brauch wirklich mal wieder ’n Wochenende Ruhe vor meinem Vater.« Raphael legte seinen Kopf auf Yatanos Brust. »Lass uns lieber mal nach unten gehen, du fühlst dich komisch an, wenn du nass bist.«
Zumindest war es hier drinnen trocken, auch wenn beide die Wärme eines Bettes oder zumindest ein paar Sessel und einen geheizten Raum bevorzugt hätten. »Hier, nimm das.« Raphael reichte Yatano ein Handtuch. »Tut mir Leid, dass ich dir nicht mehr bieten kann, als das hier…« Raphael umarmte Yatano und streichelte seinen Rücken. »Ich hab dich vermisst…«
»Ich dich auch, Kleiner.«
…
Der Unterricht floss träge wie Schmieröl dahin. Raphael hatte das Gefühl, schon seit Stunden aus dem Fenster zu starren, ohne das der Intruktor seinen Satz beendet hätte. »…Gruppe 16, Kadett Sizura, Kadett Hiragawa.« Raphael blickte auf als er seinen Namen hörte. Hiragawa? Der Kapitän des Schwimm-Teams? Das war zumindest nicht das schlechteste, was ihm passieren konnte. Er blickte sich um. Eigentlich hatte er Kadett Hiragawa erst einmal getroffen, und die ganze Sache war ihm ein bisschen peinlich. Er war wieder einmal in Gedanke versunken durch die Akademie gelaufen, und dabei mit ihm zusammengestoßen. Als ihm bewusst wurde, mit wem er es zu tun hatte, war ein schleunigst zum nächsten Kurs gerannt, denn es ging das Gerücht um, das einmal ein Kadett, der Hiragawa zu nahe getreten war, danach die Akademie verlassen hatte und in einen anderen Distrikt gezogen war. Raphael erinnert sich nur noch an den seltsamen Ausdruck, den er auf Hiragawas Gesicht gesehen hatte. Bis heute konnte er sich keinen richtigen Reim darauf machen. Aber zumindest schien er kein Vollidiot zu sein, so wie manche andere. Er blickte sich um. Kadett Hiragawa saß am anderen Ende des Raumes und lehnte mit dem Kopf gelangweilt an der Wand. Dieser Kurs war scheinbar allgemein nicht sehr beliebt. Raphael merkte, dass er Hiragawa schon seit einigen Minuten anstarrte, und drehte sich zurück zu seinem Datapad. Eigentlich sieht er sogar recht attraktiv aus. Raphael schüttelte seinen Kopf, um den Gedanken loszuwerden. Reiß dich zusammen, Mann! Sowas führt nur zu Problemen!
Es klingelte. Das war sein letzter Kurs für heute. Raphael schluckte – sollte er Hiragawa einfach ansprechen, oder sollte er warten, bis er zu ihm kam? Er wird dich schon nicht gleich umbringen, schon gar nicht vor den anderen Kadetten! Raphael griff nach seinem Rucksack und stopfte hastig seinen Laptop hinein, und blickte nochmal zu Hiragawas Tisch. Verdammt! Er hatte den Raum schon verlassen. Hastig eilte Raphael zur Tür und Hiragawa hinterher.
Als Raphael am anderen Ende des Ganges ankam nahm er all seinen Mut zusammen. »Hiragawa-san?«
Er drehte sich um. »Ja?«
»Ich bin Raphael … Sizura. Wir wurden in die selbe Projektgruppe eingeteilt.« Raphael hoffte, das Hiragawa den Kloß in seinem Hals nicht bemerkte.
Hiragawa drehte sich zurück zu seinen Begleitern. »Gehen Sie besser schon mal vor, ich komme dann nach, wenn ich hier fertig bin.«
»Jawohl, Hiragawa-san.«
Er bedeutete Raphael, ihm zu folgen. Raphael schluckte. »Sizura? Verwandt mit Admiral Sizura?«
»Leider … ich bin sein Sohn.« Sie hatten ein ungenutztes Lehrzimmer erreicht, und Hiragawa bedeutete ihm, hineinzugehen. Vorsichtig schloss er die Tür hinter beiden.
»Wow … Ich dachte, Admiral Sizuras Sohn wäre Kommandant des 405. Planetaren Verteidigungsgeschwaders?«
»Das ist mein Bruder … hören Sie, Hiragawa-san, ich …«
»Yatano.«
»Was?«
»Wenn wir zusammenarbeiten, nenn mich Yatano. … Hör mal … ich … hab gleich noch einen Kurs … können wir uns vielleicht nachher in der Bibliothek treffen?«
…
Nervös blickte Raphael aus dem Fenster der Hochbahn. Graue Wolken hingen tief am Himmel, und schwere Tropfen klatschten gegen die Fenster. Um ihn herum ragten die Hochhäußer des Tenyuku-Distrikts auf. In ihren Festern spiegelte sich das Grau des Himmels. Diese Gegend war ihm gänzlich unbekannt.
Er konnte es immer noch nicht fassen, das Yatano Hiragawa ihn zu sich eingeladen hatte.
»In wenigen Sekunden erreichen wir Haltestelle Tenyuku.«, bläkte es aus einem Lautsprecher über ihm.
Verdammt! Raphael wühlte in seiner Tasche auf der Suche nach seinem Datapad. Das verdammte Teil muss doch hier irgendwo sein!
Die Bremsen quietschten, und mit einem Ruck, der Raphael mit dem Kopf gegen den Sitz vor ihm stoßen lies, kam der Zug zum Stehen. Eilig stopfte Raphael seinen Sachen zurück in seine Tasche, klemmte sein Datapad unter den Arm, und kämpfte sich durch die hereinströmenden Pendler zur Tür.
Kommt mir bloß nicht zu nahe.
Vor der Haltestelle angekommen, rief Raphael die Karte von Tenyuku auf und tippte die Adresse der Hiragawa-Familie ein. Nach links und dann die 24. Straße entlang. Raphael blickte sich um. Schade, dass die Hiragawa-Familie kein Auto hat.
Nervös blickte Raphael an den Häuserreihen entlang. Worauf hatte er sich da bloß eingelassen? Eigentlich war er ja froh über jede Möglichkeit, von seinem Vater wegzukommen, aber langsam kamen ihm Zweifel. Raphael schluckte. Jetzt beruhig dich erst mal! Mittlerweile war er am richtigen Haus angekommen. Er klingelte.
»Ähem…hier ist Kadett Sizura…«
Die Tür öffnete sich mit einem Klicken.
…
»Hey. Komm doch rein.«
»Kryogenische Tanks: online und betriebsbereit. Kondensatoren: geladen und betriebsbereit. Triebwerks-Überprüfung positiv.«
…
Das piepsen des Navigations-Computers riss Raphael aus seiner Trance. Mist, dachte er. Diese Ausbildungsflüge waren viel zu kurz. Aber wenigstens würde er heute Abend Yatano wiedersehen. Also dann, auf geht’s. Je schneller ich wieder auf dem Boden bin, desto schneller bin ich bei ihm. Er aktivierte sein Funkgerät.
»Hikenyama Air Control, hier Dagger カ-1. Akademie-Gruppe カ kehrt von Aufklärungsflug zum dritten Mond zurück, erbitte Landefreigabe.«
»カ-1, hier Hikenyama Air Control. Haben ihre Bitte um Landefreigabe empfangen. Schwenken Sie auf Warte-Vektor West 5 ein und erwarten Sie Verifikation ihrer Identität und Gruppenzugehörigkeit.«
Raphael blendete Warte-Vektor West 5 auf seinem HUD ein und wechselte den Kanal. »Gruppe カ, カ-1 hier. Einschwenken auf West 5 und Formation halten. Keine Heldentaten heute, ich hab noch was vor.«
»Schwuchtel…«
»カ-5, ich hoffe sehr, dass das grade eine atmosphärische Störung war.«
»Jawohl, Sizura-sama…«
»カ-1, hier Tower Hikenyama Airbase. Bestätige Sizura, Kadett. Bestätige Gruppe カ. Erteile Gruppe カ Landefreigabe für Plattform 3. Gehen Sie auf Landevektor und erwarten sie Leitstrahl für Anflug.«
Raphael rastete seinen Navigationscomputer auf den Leitstrahl ein. »Tower, hier カ-1. Sind auf Leitstrahl eingerastet. Bringen Sie uns heim.«
Der Rest der Landung verlief ereignislos. Einer nach dem anderem setzten die Gleiter auf dem Rollfeld auf und kamen zum Stehen.
»Ok, Leute, das war’s für heute.«
Raphael nahm seinen Helm ab und löste seinen Gurt. Am Terminal wartete schon der Rest seiner Gruppe auf ihn.
»Debriefing mit dem Sensei dann in einer halben Stunde.«
»Anasera, was sollte das vorhin eigentlich?«
»Was sollte was?«
»Sie wissen, was ich meine.«
»Das Sie ’ne Schwuchtel sind? Ach kommen Sie, jeder weiß, dass sie sich von diesem Schönling Hiragawa stechen lassen! Es traut sich doch nur niemand, etwas zu sagen, weil Sie der Sohn von so ’nem Admiral sind!«
»«
Eine Flut von Bildern und Gefühlen schwirrte durch Raphaels Kopf. Langsam öffnete er die Augen.
Oh Mist!
Langsam richtete er sich auf und blickte sich im Raum um. Es war hell, und vor dem Fenster war die Sonne zu sehen. Auf einem Stuhl neben dem Bett lag frische Kleidung.
Seit wann wach ich in fremden Betten auf?
Raphael rieb seine schmerzende Schulter und versuchte, sich zu erinnern, was vorgefallen war.
Eine Flut von Bildern und Gefühlen schwirrte durch Raphaels Kopf. Langsam öffnete er die Augen.
Oh Mist!
Langsam richtete er sich auf und blickte sich im Raum um. Es war dunkel, und vor dem Fenster waren Sterne zu sehen. Auf einem Stuhl neben dem Bett lag frische Kleidung.
Wird das jetzt zur Regel, dass ich in fremden Betten aufwache?
Raphael rieb seine schmerzende Schulter und versuchte, sich zu erinnern, was vorgefallen war.